Verkehrswende im Landkreis STA Teil 1: Vision Mobilität 2020

Radentscheide & Pedelec-Boom, Carsharing & Mobility as a Service, Dieselbetrug & IAA-Proteste, … – unsere Mobilität ist im Umbruch. Und das ist höchste Zeit: Denn der Verkehr trug 2017 zu 21 % der CO2-Emissionen in Deutschland bei, Tendenz sogar steigend. Nachdem jahrzehntelang das Privatauto die Straßen dominiert hat, leiten die Menschen – vor allem in Großstädten – einen Paradigmenwechsel ein, der Verkehrs- oder Mobilitätswende genannt wird.

Doch im Landkreis Starnberg ist von dieser Verkehrswende noch wenig zu spüren. Nach wie vor dominiert der Pkw die Ortsbilder, finanzielle und personelle Ressourcen fließen in erster Linie in den Neu- und Ausbau von Straßen für Kraftfahrzeuge. Auf den Bau von drei Westumfahrungen und den sechsspurigen Ausbau der A96 folgt ein Tunnel durch Starnberg für mehr als 200 Millionen Euro.

Ein Lichtblick war das Konzept für ein Alltagsradroutennetz, 2016 vom Kreisrat beschlossen. Doch die Umsetzung erfolgt laut Starnberger SZ im „Schildkrötentempo” und wird noch Jahrzehnte dauern, wenn sie keine höhere Priorität erhält. Mehr Nägel mit Köpfen werden dagegen beim Linienbusverkehr gemacht. Hier gab es in den letzten Jahren mit neuen Linien und engeren Takten große Fortschritte.

Vision Mobilität 2020 – gar nicht visionär

Wohin führt die Verkehrspolitik im Landkreis Starnberg? Den Weg weist die Ende 2018 vom Kreistag beschlossene Vision Mobilität 2020 für den Landkreis Starnberg. Wir haben sie angesichts des Kommunalwahlkampfs nochmal genauer unter die Lupe genommen.

Zunächst das VCD-Fazit in aller Kürze: Die Vision Mobilität 2020 ist keine Vision. Sie ist zu mutlos und unausgewogen, um die Verkehrspolitik im Landkreis STA zu erneuern. Stattdessen schreibt der Kreisrat in der „Vision“ im Wesentlichen bereits laufende Aktivitäten fort und empfiehlt technische Entwicklungen, die in absehbarer Zeit ohnehin eingeführt würden.

Critical Mass am 29. Juni 2018 in Weßling

Hier erklären wir genauer, woran es der Vision Mobilität 2020 mangelt:

Der Kernsatz

„Die Vision Mobilität des Landkreises Starnberg stärkt die Werte unserer Region – elementarer Bestandteil ist eine nachhaltige, zukunftsfähige und naturgesunde Mobilität für alle.“

klingt zunächst durchaus nach Verkehrswende. Tatsächlich folgt der Begriff auf den 48 sperrig formulierten Seiten mehrfach. Im Abschnitt 5 werden folgende neun Ziele genannt:

  1. Reduzierung von Luftschadstoffen und Lärm durch Straßenverkehr
  2. Reduzierung von CO2-Ausstoß durch Verkehr
  3. Schutz der Lebensgrundlagen Boden, Luft und Wasser
  4. Verknüpfung von Mobilitätsangeboten und Verkehrssteuerung durch Digitalisierung
  5. Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs (MIV)
  6. Berücksichtigung aller Verkehrsarten bei der Gestaltung des öffentlichen Raums
  7. Sichere Verkehrswege
  8. Mobilität und Infrastruktur für alle (Inklusion)
  9. Akzeptanz für neue Mobilitätsarten und alternative Antriebe

Auch diese Punkte entsprechen weitgehend den Zielen der Verkehrswende. In Anbetracht der bisher autofreundlichen Verkehrspolitik im Landkreis Starnberg lässt insbesondere das fünfte Ziel „Reduzierung des MIV” aufhorchen. Dabei wird festgestellt, dass der Landkreis „unter einem sehr hohen MIV leidet”. Großer Schwachpunkt dieses Ziels in der Vision Mobilität 2020 ist, dass weder zur aktuellen, noch zur angestrebten Situation quantitative Angaben (Motorisierungsgrad, Modal Split) gemacht werden. Tatsächlich wird auf fast jeder Bürgerversammlung vehement eingefordert, den stetig wachsenden, unerträglich gewordenen Kraftverkehr im Landkreis Starnberg einzudämmen. Doch wie soll überprüft werden, dass dieses Ziel erreicht wird? Ohne konkrete Zahlen wird es wahrscheinlich ein Lippenbekenntnis bleiben.

Park-Platz statt Parkplatz am 11. Mai 2019 in Gilching

Im Anschluss an die Ziele werden in der Vision Mobilität 2020 neun Handlungsfelder beschrieben, die im Verlauf des Projekts durch passende Maßnahmen umgesetzt werden sollen:

  1. Ausbau und Stärkung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV)
  2. Förderung von Elektromobilität (MIV und ÖPNV) sowie Rad- und Fußverkehr
  3. Digitalisierung von Mobilitätsangeboten
  4. Bewusstseinsbildung zur Steigerung der Akzeptanz für MIV-Alternativen
  5. Gestaltung der zukünftigen Mobilität mit Bürgerbeteiligung
  6. Vernetzung von Mobilitätsangeboten
  7. Schaffung eines multimodalen Mobilitätssystems
  8. Einheitliche Mobilitätsstandards
  9. Komfortable Mobilitätsangebote

Diese Handlungsfelder haben einen grundsätzlichen Konstruktionsfehler: Sie beinhalten ausschließlich fördernde Maßnahmen. Es ist jedoch wissenschaftlich und praktisch belegt, dass wir unser Mobilitätsverhalten nur ändern, wenn attraktivierende (pull) und de-attraktivierende (push) Maßnahmen kombiniert werden. Das hieße etwa, die Menschen nicht nur durch bessere Geh- und Radwege oder Linienbusangebote im Landkreis, sondern auch durch Tempolimits, weniger Pkw-Parkflächen oder entschleunigende Gestaltung öffentlicher Räume zum Umsteigen auf den Umweltverbund (Fuß, Rad, ÖPNV) zu bewegen. Daher ist nicht zu erwarten, dass die Ziele der Vision Mobilität 2020 mit diesen Handlungsfeldern erreicht werden können.

Darüber hinaus erscheinen die Handlungsfelder wenig ausgewogen. Der ÖPNV ist sehr stark vertreten, obwohl hier ohnehin schon relativ viel erreicht wurde. Auch die mit der Digitalisierung zusammen hängenden Punkte 3, 6 und 7 nehmen übermäßig viel Raum ein. Noch dazu ist für dieses Thema eher der Münchner Verkehrsverbund als der Landkreis zuständig und kompetent. Die Förderung von E-Automobilität torpediert übrigens das vorrangige Ziel, nämlich den MIV zu verringern.

Schließlich gibt auch das fünfte Handlungsfeld „Bürgerbeteiligung“ Anlass zur Kritik. Der Bürgerwille wurde schon bei der Erstellung der Vision Mobilität 2020 missachtet. Diese wurde und wird nämlich hinter verschlossenen Türen konzipiert. Bürgerinnen und Bürger sowie NGOs (wie der VCD), die sich schon seit vielen Jahren für das Thema engagieren, werden nicht einbezogen. Warum werden mit öffentlichen Mitteln finanzierte Projekte nicht wenigstens öffentlich dokumentiert?

Insgesamt ist die Vision Mobilität 2020 also zu unausgewogen und mutlos, um die Verkehrswende im Landkreis Starnberg einzuleiten. Die Handlungsfelder beinhalten im Wesentlichen die Fortschreibung bereits laufender Aktivitäten sowie technische Entwicklungen, die in absehbarer Zeit ohnehin eintreten. Zudem fehlt es an messbaren Zielen für eine Erfolgskontrolle der Maßnahmen und an Transparenz.

Auf zu einer echten Vision Mobilität 2025!

Aus der Sicht des VCD sollte der Kreisrat die Vision Mobilität 2020 mit mehr Mut überarbeiten, dabei Vereine, Verbände und Bürgergruppen einbinden, die sich beherzt für eine Verkehrswende im Landkreis Starnberg einsetzen, und Fortschritte auf der Basis von Zahlen offenlegen. Bitte unterstützen Sie uns, dass dies nach der Kommunalwahl geschieht!