Mit dem Fahrrad von Herrsching nach Weßling
Ein Erfahrungsbericht
Die Radroute von Herrsching nach Weßling ist im Alltagsradroutenkonzept des Landkreises der höchsten Priorität „überregionale Entwicklungsachse“ zugeordnet. Ihre Bedeutung für den Radverkehr entspricht damit dem einer Staatsstraße für den Kraftverkehr. Um einen Eindruck für die demnächst anstehende Rezertifizierung des Landkreises als Fahrradfreundliche Kommune zu gewinnen, radle ich die 11 km lange Strecke ab und werfe einen kritischen Blick auf die Alltagstauglichkeit für den Radverkehr.
Holpriger Start
Die ersten beiden Kilometer vom Bahnübergang in der Riederer Straße in Herrsching bis zum Beginn der Seestraße in Hechendorf lege ich auf einem nicht asphaltierten Geh- und Radweg zurück, der direkt neben den S-Bahn-Gleisen verläuft. Bei schönem Wetter ein netter Freizeitweg, aber für Altagsradler:innen nicht wirklich geeignet: Zügiges Tempo ist bestenfalls mit einem geländetauglichen Fahrrad möglich. Bei Regen wird die Oberfläche gefährlich matschig, bei Schnee und Eis geht mangels Winterdienst unter Umständen gar nichts mehr. Wo gibt es Staatsstraßen ohne Asphaltoberfläche?
Vorsicht Querschläger
Die Seestraße in Hechendorf ist für den Kraftverkehr freigegeben – und selbstverständlich asphaltiert. Trotzdem gibt es üble Gefahrstellen für Radler:innen: Gleich zu Beginn und später nochmals auf Höhe der Badeanstalt erfordern quer verlaufende, gepflasterte Regenrinnen höchste Aufmerksamkeit. Da die Rinnen ziemlich tief sind und mit einem ähnlichen Radius wie Laufräder ausgerundet sind, können sie nur mit Schrittgeschwindigkeit sicher überfahren werden. Wer die Strecke nicht kennt, durch das Verkehrsgeschehen abgelenkt oder mit einem Rennrad unterwegs ist, kann dadurch erheblich gefährdet werden. Hat die moderne Straßenbautechnik keine fahrradfreundlichere Lösung für die Entwässerung parat?
Auf Abwegen 1
Wegen einer nicht für den Radverkehr freigegebenen Einbahnstraße darf ich die letzten 90 Meter bis zur Kreuzung mit der Staatsstraße 2070 (Seefelder Straße) nicht befahren, sondern werde nach rechts auf einen absurd anmutenden, 330 m langen Umweg geleitet. Die Einmündung zur Staatsstraße erfolgt dadurch außerorts bei zulässiger Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h für den Kraftverkehr. Da es an dieser Stelle keine Zufahrt zum straßenbegleitenden Geh- und Radweg gibt, muss ich 150 m auf der gefährlichen Staatsstraße bis zur Kreuzung fahren und dabei einige verlorene Höhenmeter bewältigen. Bei dieser schikanösen Streckenführung ist es wenig verwunderlich, dass die meisten ortskundigen Radler:innen ordnungswidrig die Einbahnregelung missachten – und die Staatsstraße mit schlechter Sicht nach links (ohne Verkehrsspiegel) überqueren. Warum setzt sich das Landratsamt nicht für eine sichere, fahrradfreundliche Gestaltung der gefährlichen Kreuzung ein (Presseartikel 1 und 2)?
Auf Abwegen 2
Gemäß der Radverkehrswegweisung folgt unmittelbar der nächste Umweg. Denn Radler:innen werden nicht auf dem landschaftlich schönen, für den Kfz-Verkehr gesperrten und mit Abstand direktesten Aubachweg (1,0 km) in Richtung Weßling geleitet, sondern über die Bahnhofstraße (1,5 km), wo es nicht nur Kraftverkehr und eine weitere unnötige Steigung, sondern auch einen Bahnübergang gibt, an dem Wartezeiten von mehreren Minuten keine Seltenheit sind. Nicht nur Ortskundigen erscheint es völlig absurd, dass der attraktive, von Radler:innen stark frequentierte Aubachweg nicht in das Prüfnetz für das Alltagsradroutenkonzept aufgenommen wurde. Warum wurde hier so praxisfern vorgegangen?
Crash-Kurs
Bis kurz vor Meiling geht es auf einem Geh- und Radweg weiter, der entlang der Staatsstraße 2068 verläuft. Solange gute Sichtverhältnisse gegeben sind, ist seine Breite von 2,5 noch akzeptabel für Begegnungsverkehr. Allerdings gibt es in diesem Abschnitt mehrere Brücken, die jeweils an einer Verschwenkung liegen. Da deren dunkle Geländer nicht mit reflektierenden Leitmahlen ausgestattet sind und selbst in diesen kritischen Bereichen keine Fahrbahnbegrenzungslinien markiert sind, ist die Unfallgefahr bei schlechter Sicht (nachts, Nebel, Sonnenblendung) hoch. Warum werden diese Gefahrstellen nicht mit wenig Aufwand entschärft?
Auf Abwegen 3
Sind aller guten Dinge drei? Jedenfalls dürfen Radler:innen in Meiling erneut einen haarsträubenden Umweg fahren (oder echten Mut beweisen und ohne Querungshilfen auf die St 2068 hin und wieder zurück wechseln). Die weniger gefährliche Radroute hat einiges zu bieten: Eine erhebliche Steigung, einen nicht asphaltierten Abschnitt und eine unübersichtliche, steile und kurvige Abfahrt im Mischverkehr auf der Dorfstraße mit abschließender Querung im Kreuzungsbereich. Hier handelt es sich um einen echten Klassiker, der weit über die Landkreisgrenzen bekannt ist.
Kaputt mit Ansage
Zwischen Meiling und Delling wird der Radverkehr weiter auf einem ziemlich schmale Geh- und Radweg geführt. Allerdings ist die Fahrbahnoberfläche stellenweise stark beschädigt: Durch Absenkungen haben sich lange Risse in Längsrichtung gebildet, die Radler:innen ähnlich gefährden wie Straßenbahnschienen. Diese Schäden existieren schon seit vielen Jahren, aber das zuständige Straßenbauamt hält es offenbar nicht für notwendig, den Weg zu sanieren. Stattdessen wurden Verkehrzeichen „Gefahrstelle“ mit Zusatzzeichen „Straßenschäden“ fest(!) installiert. Das Amt bemüht sich lieber, für mehrere Hunderttausend Euro eine perfekte Fahrbahn auf der Staatsstraße herzustellen, damit Tempo 100 für den Kraftverkehr möglich bleibt.
Kleinvieh macht auch Mist
Bei Delling stoße ich auf eine weitere Schikane mit zwei 90-Grad-Knicken. Was aufgrund der Steigung in Richtung Weßling nicht groß stört, ist in Gegenrichtung äußerst lästig, weil der Schwung von der Dellinger Höhe verloren geht. Im Übrigen nervt in diesem Bereich – wie bei vielen straßenbegleitenden Radwegen – das durch die Topografie bestimmte Höhenprofil, während der Kraftverkehr dank aufwändiger Trassierung möglichst sanft auf und ab geführt wird.
Blindflug
Kurz vor Weßling wird der Geh- und Radweg durch eine Unterführung zur Querung der Umfahrung geleitet. Die Zufahrt ist steil, schmal und kurvig. Wegen Verschattung und unmittelbar am Beginn der Unterführung endender Kurve ist die Sicht stark behindert. Innen ist die Fahrbahn durch 50 cm breite Bordsteine auf beiden Seiten unnötig schmal. Das ist insbesondere für mehrspurige Fahrräder (Anhänger, Lasten- und Liegeräder) problematisch. Es ist kein Wunder, dass sich hier seit dem Bau im Jahr 2015 (also nach der Zertifizierung als Fahrradfreundlicher Landkreis!) schon mehrere lebensgefährliche Unfälle ereignet haben.
Fazit
Warum habe ich mir die Arbeit gemacht, diese Radroute aus Nutzersicht zu beschreiben? Es ist verständlich, dass sich nicht alle Probleme leicht und schnell beheben lassen. Aber sämtliche erwähnten Schwach- und Gefahrenstellen gab es schon zum Zeitpunkt der Zertifizierung des Landkreises als „Fahrradfreundliche Kommune“ – und bei keiner einzigen wurde in den vergangenen sechs Jahren auch nur der Versuch unternommen, für Verbesserung zu sorgen. Der Landkreis schmückt sich lieber mit Schaufensterprojekten, die seinen Radlerinnen und Radlern herzlich wenig nützen und in keinster Weise das Primat des Kfz-Verkehrs tangieren: Abgekupferter Flyer Schutzstreifen machen Radfahrer sichtbar, folgenlose Modellversuche für den Radverkehr, herbeigeholte Jubiläumsveranstaltung 200 Jahre Fahrrad. Fahrradfreundlich geht anders!
Die beschriebene Fahrt fand am 23. September 2018 statt.